Überhöhte Preise?
Wer mit Gästen aus dem Euro-Raum zu tun hat, kennt die Klagen über unsere Schweizer Preise in Hotels, Restaurants und Einkaufsläden. Eigentlich verständlich: Zu den Löhnen, die in unseren Nachbarstaaten bezahlt werden, stehen die Preise in unserem Land in einem markanten Missverhältnis. Immer mehr sind es aber auch Schweizer, die sich über teure Preise beklagen. Die Devise «Geiz ist geil» ist auch in der Schweiz angekommen. Die Grossverteiler, vor allem diejenigen, die in den letzten Jahren aus dem Ausland gekommen sind und neu in der Schweiz Fuss gefasst haben, kommen mit ihren Discountpreisen genau diesen Klagen entgegen. Ich kaufe selbst auch in diesen Läden, ich profitiere auch gerne von tiefen Preisen – und doch taucht da oft ein schlechtes Gewissen auf. Bekanntlich hat jede Medaille eine Kehrseite. Die tiefen Verkaufspreise bringen es mit sich, dass die Grossverteiler einen ungeheuren Preisdruck auf ihre Lieferanten ausüben. Vor allem kleine Unternehmen, die einfach nicht so günstig produzieren können, werden da vom Markt verdrängt. Oder sie sind logischerweise gezwungen, die von den Discountern diktierten Niedrigpreise in Form von Niedriglöhnen an ihre Angestellten weiterzugeben. Man kann es gesunde Konkurrenz nennen, man könnte ebenso von einem gefährlichen Verdrängungskampf sprechen. Die Folgen haben meist die Arbeitnehmer zu tragen. Der Kreis in Sachen Preisdruck schliesst sich, wir haben uns ins eigene Fleisch geschnitten.
In meiner Familie haben wir vor Jahrzehnten eine ähnliche Situation erlebt. Als Kleinunternehmer betrieb mein Grossvater einen Laden mit Milchprodukten und – wie es damals üblich war – lieferte er als Milchmann die frische Milch den Familien bis nach Hause. Ein Service, von dem heutige Konsumentinnen und Konsumenten nur noch träumen können! Es war aber damals die Zeit, als in der Schweiz Migros und Coop ihr Filialnetz ausbauten und in ihren Läden die Lebensmittel zu deutlich tieferen Preisen anbieten konnten. Die Kundschaft wanderte ab, der eine oder andere hatte noch die Dreistigkeit, am Samstagabend um 19 Uhr bei meinem Grossvater zu klingeln: Er habe beim Einkaufen im Grossverteiler die Butter vergessen und hoffe, im Milchladen zu später Stunde noch eine zu bekommen… Die kleinen Lebensmittelläden, egal ob Milchladen, Kolonialwarenladen, Metzgerei oder Bäckerei, hatten da absolut keine Chance mehr mitzuhalten. Die Existenz von ganzen Familien ist vielerorts zerstört worden. Es hat auch nicht viel genützt, hinterher die Unternehmen nostalgisch als «Tante – Emma – Läden» zu bezeichnen. Ihre Zeit war in den meisten Fällen vorbei. In meiner Familie hat diese Entwicklung Spuren hinterlassen: Bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr habe ich keine einzige Filiale von Migros und Coop betreten. Heute sind diese Zeiten längst vorbei, die beiden Schweizer Ketten gehören unterdessen schon zu den teureren verglichen mit Aldi, Lidl und anderen Discountern. Der Preisdruck und der Verdrängungskampf gehen munter weiter.
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