Das unwürdige Trauerspiel um die von der EU beendete Forschungszusammenarbeit mit der Schweiz

Feb 18 • Deutsche Seite, L'opinione, Prima Pagina • 247 Views • Commenti disabilitati su Das unwürdige Trauerspiel um die von der EU beendete Forschungszusammenarbeit mit der Schweiz

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Wie hinlänglich bekannt, wurde die Schweiz von der EU als Vollmitglied aus dem europäischen Forschungsprogramm Horizon ausgeschlossen, nachdem der Bundesrat das EU-Rahmenabkommen beerdigt hatte.

Unlängst forderten Vertreter aus Wirtschaft und Forschung nach dem Aus des EU-Rahmenvertrages eine sofortige Schadensbegrenzung für die Hochschulen. Die Regierung müsse alles (!) tun, um bis Ende Jahr einen vollen Anschluss ans EU-Forschungsprogramm Horizon zu erreichen, verlangen sie in einer Resolution.

Nun (Stand: 30.1.2022) richtet Martina Hirayama, unsere Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation im WBF, einen Appell an die EU. Die EU solle die institutionellen Fragen und die Forschungszusammenarbeit nicht miteinander verknüpfen, denn – sagte sie völlig zu Recht – dafür bestehe weder in rechtlicher noch materieller Hinsicht eine Verbindung, sie sei rein «politischer» Natur. Und weiter: Assoziiert zu sein und Assoziationsverhandlungen aufzunehmen, sei nicht dasselbe. Doch sobald Verhandlungen begonnen hätten, gelte man als zu assoziierendes Land und könne sich in alle Horizon-Projekte einbringen. «Die Knacknuss ist, ob und wann wir Verhandlungen aufnehmen können. Die EU weigert sich bisher leider.»

Welche Strategie verfolgen?

  1. Dass eine Schweizer Klage beim Europäischen Gerichtshof wegen der jedem Recht spottenden, rein politischen Verknüpfung von Rahmenabkommen und Forschungszusammenarbeit durch die EU uns etwas bringt, ist wohl illusorisch.
  2. Die Eigenfinanzierung der schweizerischen Horizon-Forschung mag für den Moment tragbar sein, weil die jährlichen Horizon-Beiträge der EU an die Schweiz kaum viel höher sind als die Schweizer Beiträge an die EU für deren Forschungsprogramme; aber das kann auch nicht die Lösung sein.
  3. Die substitutive Suche nach einer intensiveren Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Staaten mit höherem Ausbildungsniveau (wie die USA, Grossbritannien oder gewisse asiatische Länder) ist stark zu befürworten.
  4. Der nun vorgesehene unverbindliche Appell an die EU ist angesichts der politischen Sturheit der EU wohl chancenlos.
  5. Die Forderung an den Bundesrat, man müsse ALLES tun, um bis Ende Jahr einen vollen Anschluss an Horizon zu erreichen (d.h. jegliche unvorteilhafte Kompromisse eingehen), setzt uns viel zu stark unter Druck.
  6. Viel besser wäre es, aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse in den Verhandlungen einen bedeutend höheren Gegendruck zu entwickeln. Hierzu zwei Argumente:

Forschungsstandort Schweiz

Die Schweiz zählt nebst den USA, Grossbritannien und einigen asiatischen Staaten zu den weltweit besten Forschungsstandorten. Er ist qualitativ weitaus besser und renommierter als jene in den EU-Staaten (seit GB nicht mehr dazu gehört). So erstaunt es denn nicht, dass sehr viele Forscher, namentlich aus EU-Staaten, für ihre Forschungstätigkeit und Lehre in die Schweiz kommen. Sie kommen nicht aus purer Liebe zur Schweiz oder wegen unserer schönen Landschaft hierher, sondern weil sie hier einfach sehr viel bessere Arbeits-, Karriere- und Lebensbedingungen vorfinden als in ihren Herkunftsländern. Dass sie sich nun, nach der von der EU verweigerten Horizon-Zusammenarbeit, massgeblich aus der Schweiz zurückziehen (und in die EU-Staaten abwandern werden?), ist höchst unwahrscheinlich. Für die Forscher aus den bereits weitaus qualifizierteren oder aufstrebenden Nicht-EU-Ländern gilt dies ohnehin. Das Argument der Forschungsabwanderung ist reine Panikmache seitens eines kleinen Kreises von Direktinteressierten!

Schweizer Universitäten

Ebenso international renommiert wie der Forschungsstandort Schweiz sind unsere Universitäten. So erstaunt es denn keineswegs, dass etwa im Winter- bzw. Herbstsemester 2020/21 insgesamt 51’700 Studierende aus dem Ausland an Schweizer Universitäten (den 10 kantonalen Universitäten, den 2 Eidg. Technischen Hochschulen und 2 weiteren universitären Institutionen) studierten. Das sind rund so um die 40% ausländischer Studenten an Schweizer Hochschulen, massgeblich aus EU-Staaten. An der Tessiner Uni (der USI) machen sie gar 2/3 sämtlicher Studierenden aus, vorweg aus Italien kommend (das war wohl bei der Gründung der Uni eingeplant, denn für die paar Dutzend Tessiner Studierenden hätte sich eine italienischsprachige Universität in Lugano nie und nimmer gerechtfertigt). Im Gegenzug studieren eher wenige Schweizer Studierende an ausländischen Unis. Insgesamt mögen es – wie die Statistiken uns Glauben machen wollen – 17,7 % sein, aber: Zumeist handelt es sich dabei nur um einzelne Auslandsemester (die unseren Studierenden von deren Eltern «geschenkt» bekommen, um sie bei Laune zu halten, oder für deren Sprachaufenthalt, dies aber vorweg im englisch sprechenden Raum wie USA oder GB). Kaum viele Schweizer Studenten studieren insgesamt dauerhaft an den international eher unbedeutenden EU-Universitäten (ausgenommen vielleicht Studenten für deutsche, französische oder italienische Sprache oder links orientierte Soziologiestudenten – gibt es in dieser Studienrichtung denn überhaupt noch welche, die nicht links orientiert sind? –  an europäischen Unis mit ausgewiesenen Linksprofessoren). Schliesslich: Jene Schweizer Studenten, die nach ihrem  Kurzbesuch von Jekami-«Universitäten» der EU mit irgendwelchen Phantasiediplomen zurück kehren, haben es hierzulande dann bei der Stellensuche schwer: Es ist mittlerweile so jedem Arbeitgeber bekannt, dass Inhaber von solchen ausländischen «akademischen Graden» zu nichts taugen; Italien in primis.

Die EU boykottiert uns; warum boykottieren wir nicht auch sie?  

Doch nach diesem Exkurs über Forschungsstandort und Universitäten zurück zum Grundthema dieses Artikels. Es geht darum, wie und mit welchen Argumenten die Schweiz aufgrund der skizzierten Faktenlage gegenüber der EU auftreten soll, um ihre Interessen durchzusetzen. Mit Klagen und Appellen an die EU kriegen wir nichts. Die Selbstfinanzierung der EU-Programme mag helfen, ist aber unwürdig. Die vermehrte Ausrichtung der Bildungszusammenarbeit auf ausgewählte Nicht-EU-Staaten ist nicht nur nützlich, sondern zwingend erforderlich. Doch letzten Endes: Wenn uns die EU schamlos rechtswidrig boykottiert, warum boykottieren wir im Bildungsbereich nicht auch sie? Die Möglichkeiten dafür sind durchaus vorhanden (siehe die beiden vorgängigen Kapitel über Forschungsstandort und Universitäten).

Unsere Forscher dürfen nicht mehr an den EU-Forschungsprogrammen teilnehmen? Was hindert uns daran, zu beschliessen, dass Studenten aus der EU nicht nur mehr an Studiengebühren bezahlen müssen, sondern überhaupt nicht mehr an Schweizer Universitäten studieren dürfen (aufgrund des krassen Missverhältnisses des Studentenaustauschs zwischen EU und der Schweiz und der qualitativen Hochwertigkeit unserer Hochschulen wäre dies für die EU eine richtiggehende Katastrophe). Zudem: Unsere teuren kantonalen und eidgenössischen Hochschulen werden von uns Schweizer Steuerzahlern berappt!

Fazit: Es geht einfach nicht an, dass wir in einem Bereich, in dem wir sehr stark sind und berechtigte Forderungen an die EU stellen können, weiterhin dauernd vor den arroganten Brüsseler Technokraten niederknien und uns im Gesamtverhältnis zu unannehmbaren Lösungen oder schon nur unvorteilhaften Kompromissen zwingen lassen. 

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