Lieber Menenius, hilf du uns!
Editorial
Der Apolog:
„Einst verweigerten die Glieder des menschlichen Körpers die Zusammenarbeit mit dem Magen und konspirierten gegen ihn, weil dieser ihrer Ansicht nach nichts anderes tun würde, als müssiggängerisch auf Speisen zu warten. Sie beschlossen, dass die Hände keine Speisen mehr zum Munde führen würden, dass der Mund solche nicht mehr entgegennehmen sollte und die Zähne keine Speisen mehr verarbeiten würden. Aber indem die Glieder damit den Magen in die Schranken weisen wollten, schwächten sie auch sich selber, und der ganze menschliche Körper erlitt grössten Schaden. Daraus folgt, dass der Magen nicht einfach nur ein Faulpelz ist, sondern dass er die erhaltenen Speisen an alle anderen Glieder des menschlichen Körpers weiter gibt. Und so schlossen sie Frieden mit ihm. Und eben so steht es im Verhältnis zwischen Senat und Volk: Beide bilden zusammen ein Ganzes: Wenn sie nicht zusammen arbeiten, gehen beide unter, wenn sie es hingegen tun, bleiben sie gesund“.
Das ursprüngliche Szenario:
Rom, 494 v.Chr.: Die Plebejer zogen sich – um damit eine gewisse rechtliche Gleichstellung mit den römischen Patriziern zu erreichen – auf den Monte Sacro (wahrscheinlich dem Aventino) zurück, was damit wohl geschichtlich dem ersten Generalstreik gleich kommt. Dem Konsul Menenius Agrippa gelang es – mittels Vermittlung der im Apolog aufgeführten, in die Geschichte eingegangenen Argumente – die Plebejer zur Vernunft zu bringen – natürlich mit einigen Konzessionen, wie die Einsetzung von Volkstribunen, die nunmehr neben den Konsulen die Interessen des Volks vertraten.
Das heutige Szenario:
Heutige Welt, 2021: Links und Rechts, Wirtschaft und Bevölkerung sind heute einigermassen vergleichbar mit den Patriziern und den Plebejern im alten Rom. Die Glieder (die Bevölkerung) verlangen vom Magen (die Wirtschaft) immer mehr, und oft und gerne beschränken sie sich nicht auf einen Rückzug auf den Aventino, sondern äussern sich mit oft auch gewaltsam verlaufenden Protestaktionen unter bewusster Missachtung des Rechts. Sie sind dazu bereit, die Wirtschaft zugunsten der Umverteilung zu opfern, ungeachtet der Tatsache, dass es ohne die Wirtschaft nichts umzuverteilen gäbe.
Ich weiss nicht wie Sie darüber denken, aber ich selber sehe eine starke Analogie zwischen den beiden Szenarien, und glaube, dass der Apolog des altrömischen Konsuls sich sehr gut auf unsere heutige Zeit übertragen lässt.
Die Anticovid-19-Massnahmen
Die Massnahmen gegen die Pandemie respektive die diesbezüglich erwünschten Positionen bestätigen meines Erachtens, dass der fragliche Apolog absolut aktuell ist. Einerseits haben wir den Magen, der sinnbildlich für die Wirtschaft steht und weiterhin – wenn auch mit einigen Vorkehrungen – auf die Zuführung von Nahrung drängt; sicherlich um satt zu werden, aber auch um seinerseits die Glieder zu ernähren, d.h. die Bevölkerung. Andererseits haben wir eine immer stärker terrorisierte Bevölkerung – besser würde man von einer Linken sprechen, die immer mehr Terror in der Bevölkerung verbreitet – die einen kompletten Lockdown fordert, aber gleichzeitig auch eine volle Entschädigung für die Verluste, welche die einschränkenden Massnahmen den Firmen verschiedener Branchen und ihren zum Zuhausebleiben gezwungenen Mitarbeitern verursachen. „Die Schweiz sei reich – sagt man – sie kann es sich leisten“. Aber man schaut bedenkenlos darüber hinweg, dass die Schweiz nur deshalb reich ist, weil ihre Wirtschaft bisher produktiv war und unser Land in der Vergangenheit vorsichtig mit den Steuergeldern umgegangen ist (allerdings in jüngster Zeit immer weniger). Aber der Reichtum ist nicht unbeschränkt, und wenn man Geld ausgibt, das die Wirtschaft infolge des Lockdowns NICHT erarbeiten kann, bedeutet das ein Zurückgreifen auf das Ersparte und damit unweigerlich einen Schritt in Richtung Armut.
„Wenn das Geld nicht ausreicht, dann drucke man halt neues, so wie es die anderen auch tun“ verkünden uns die selbsternannten Wirtschaftsexperten, die sich auf Facebook ausbreiten. Zweifellos haben das andere Länder getan, aber dabei eine galoppierende Inflation in Kauf genommen, und zudem eine Verschuldung, die sie schlimmstenfalls an den Rand des Ruins gebracht hat, und – wie dies im Falle von Griechenland der Fall war – zu einer völligen Verknechtung durch die finanzstarken EU-Staaten. In den 60er Jahren waren 1’000 italienische Lire 7 Franken wert, und als im Jahre 2002 unglückseligerweise der Euro eingeführt wurde, war der Kurs zum Schweizer Franken auf 70 Rappen gefallen. Und wenn man andere Währungen ausserhalb des Euros in Betracht zieht, sehe man sich doch einmal das britische Pfund an (1 Pfund entsprach früher 12 Franken, heutzutage Fr. 1.20) oder den US-Dollar (einst 4.30 Franken, heute 90 Rappen).
Wollen wir denn für unsere Währung einen sofortigen analogen Zusammenbruch herbeiführen? Dafür würde es genügen, wenn wir nur auf die erwähnten Socialmedia-Pseudowirtschaftsexperten hörten und somit begännen, so viel Geld zu drucken bis für den Erwerb im Wert von 100 Franken eine gleich hohe Summe in Form von Monopoly-Banknoten ausreichte.
Mit der folgenden Aussage könnte ich teilweise noch einverstanden sein: „Wenn wir damit aufhörten, Geld ins Ausland zu verschleudern, könnten wir die Bedürfnisse der Handelsgeschäfte infolge der ihnen durch Schliessungsentscheide entstandenen Schäden abdecken“. Aber eben nur teilweise, denn auch mit dem damit eingesparten Geld könnten wir wahrscheinlich die von einem totalen Lockdown verursachten Schäden nicht decken. Dennoch wäre zu hoffen, dass die Schweiz vor allem in dieser Krisensituation den eigenen internen Problemen höhere Priorität zuordnen würde.
Die meines Erachtens vernünftigste Lösung bestünde allerdings darin, dass man mit den bisher standardmässig angewandten persönlichen Präventionsmassnahmen fortfährt (Gesichtsmasken, Desinfektion, Abstandhalten), hingegen auf Schliessungsmassnahmen verzichtet, die nicht nur teilweise absurd erscheinen (wie etwa die Schliessung der Restaurants, aber keine Einschränkungen für den überladenen öffentlichen Verkehr), sondern auch punkto Wirksamkeit bei weitem nicht verhältnismässig sind im Hinblick auf die eingeforderte Opferbereitschaft.
Der gute Menenius Agrippa traf im Jahre 494 v.Chr. auf einen alles in allem vernünftigen Gesprächspartner, und es gelang ihm dank dessen Verständnis, die Bedürfnisse des Magens mit jenen der Glieder in Einklang zu bringen. Würde ihm dies heutzutage gelingen? Könnte er mit einem gleich grossen Verständnis der Gegenseite rechnen? Da bin ich eher pessimistisch, denn das bezweifle ich sehr.