Die Nationalbank hat die Schweiz verraten
Aus dem «Nebelspalter» vom 3.08.2022, ein beunruhigender Artikel von Marc Meyer 
Der Halbjahresverlust der Schweizerischen Nationalbank (SNB) von über 95 Milliarden Franken ist gigantisch. Dieser ist historisch und darf nicht bagatellisiert werden, wie das die Schweizer Medien möchten. Das Steuer bei der SNB muss dringendst herumgerissen werden. Die Verursacher dieses Debakels dürfen nicht mehr länger an der Macht bleiben. Sie gefährden die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der Schweiz. Wollen wir den Euro einführen und damit den Weg in die EU ebnen? Nein.
Bundesverfassung Artikel 99 Absatz 2 besagt: «Die Schweizerische Nationalbank führt als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtinteresse des Landes dient.»
Jede Handelskammer und jede Wirtschaftsförderung will möglichst viele Investitionen ins Inland bringen, um die hiesige Wirtschaft anzukurbeln und im Inland Arbeitsplätze zu schaffen – nicht so unsere SNB.
Diese SNB steht kopf: Sie will Arbeitsplätze in der Schweiz schaffen, indem sie im Ausland investiert. Wie bitte? Wie um Himmels Willen sollen Aktienkäufe der SNB in US-Hanfaktien oder in Tesla- oder Netflix-Aktien oder in Schulden der US-Regierung usw. Arbeitsplätze in der Schweiz schaffen?
Die SNB hat uns das noch nie erklären können. Sie hat uns verraten.
«A Dreamer»
Bereits an der GV der SNB im Jahre 1996 versuchte ich, der SNB klarzumachen, dass ihre Investitionen in US-Dollars nicht die schweizerische, sondern die US-amerikanische Wirtschaft ankurbeln und zudem hochriskant sind. Aber die SNB will sich von niemandem etwas sagen lassen. Sie wähnt sich unabhängig und unfehlbar.
Von allen guten Geistern verlassen hat die SNB nun für rund 884 Milliarden Franken Investitionen im Ausland (USA und Euro-Zone) getätigt. Dem stehen Investitionen im Inland von rund 19 Milliarden gegenüber. Das entspricht rund 2 Prozent ihrer Auslandsinvestitionen. Die SNB investiert somit 50-mal mehr im Ausland als im Inland – und will so die inländische Wirtschaft ankurbeln? Die SNB «is a dreamer».
Landauf landab reklamieren und lamentieren die Politiker, die Schweizer gingen ins Ausland einkaufen anstatt in der Schweiz. Hand aufs Herz: Was schafft in der Schweiz Arbeitsplätze: Wenn Herr und Frau Schweizer die Milch beim Schweizer Bauer oder beim Deutschen Bauer kaufen? Klar doch: Beim Schweizer. Genauso schafft die SNB Arbeitsplätze nicht, wenn sie im Ausland investiert, sondern in der Schweiz.
Nun hat die SNB aufgrund ihrer irrigen Geldpolitik zudem noch 95 Milliarden Franken Halbjahresverlust pro Einwohnerin und Einwohner der Schweiz von 12’000 Franken erlitten. Die Nettoschulden der SNB belaufen sich auf über 878 Milliarden Franken. Das BIP (Brutto-Inland-Produkt) der Schweiz, genauer gesagt die gesamte Produktion oder Wertschöpfung der Schweiz beläuft sich auf rund 750 Milliarden.
Würde ein Familienvater mit mehr als einem Jahressalär Schulden machen und damit an den Devisenmärkten spekulieren, so würde möglicherweise die KESB einschreiten. Nicht so bei der SNB. Die SNB kauft und kauft und kauft und sagt, sie wolle weiter kaufen.
Zudem: Die SNB behauptet, Dollar und Euro zu stützen. Wie viel tiefer notierten die Devisen der SNB ohne Stützungskäufe durch die SNB? Die SNB würde wahrscheinlich behaupten: 20 Prozent tiefer und der Franken wäre 20 Prozent höher.
«Stille Verluste»
Was heisst das? Es bedeutet, dass die SNB im Falle eines Verkaufs ihrer Devisen im Wert von heute über 880 Milliarden nochmals weitere beinahe 180 Milliarden verlieren würde. Mit anderen Worten: Der Halbjahresverlust der SNB beträgt nicht rund 80 Milliarden, sondern 260 Milliarden.
Das bilanzierte Eigenkapital der SNB beträgt neu per Ende Juni 2022 nur noch 103 Milliarden (nach 182 Milliarden im Vormonat). Korrekterweise müsste man davon aber nochmals 180 Milliarden Franken Überbewertung abziehen (je nachdem, wie viel der Franken bei einem Verkauf sämtlicher Devisen steigen würde).
Die SNB besitzt somit «stille Verluste» von fast 180 Milliarden Franken. Das Eigenkapital der SNB ist bei gesetzlich korrekter Buchführung somit bereits jetzt weg und die SNB hat eine Unterbilanz von fast 80 Milliarden Franken.
Die SNB muss bei gesetzlich korrekter Bewertung ihre Bilanz jetzt deponieren. Die Deponierung der Bilanz schützt die Gläubiger (letztlich die Schweizer Steuerzahler) vor weiteren Verlusten.
Werden Bund und Kantone die SNB rekapitalisieren müssen? Ja oder Nein?
Ja. Der SNB-Präsident behauptet aber: Nein.
«Liquide Mittel»
Hier kommen wir zur Fortsetzung der SNB-Chaos-Theorie. Die SNB behauptet naiv, sie könne im Falle von negativem Eigenkapital einfach Banknoten drucken und so ihr Eigenkapital wieder aufstocken (siehe diverse Vorträge des SNB-Präsidenten).
Diese Irrlehre führte dazu, dass sogar unser Bundesrat behauptet, die SNB könne nicht illiquide werden in Franken, da sie das Notenbankmonopol besässe und ihre eigene Liquidität selber drucken könne (siehe Botschaft des Bundesrates an das Parlament).
Weit verfehlt. Liquidität ist eine Kurzform des Ausdrucks «Liquide Mittel». Diese stellen Vermögen dar. Banknoten sind aber nicht Vermögen, sondern im Gegenteil Schulden der SNB. Die Liquidität der SNB besteht aus Devisen und Gold. Die SNB kann aber weder Dollar noch Euro drucken noch Gold schürfen.
Mit anderen Worten: Die SNB kann sehr wohl illiquide werden und Konkurs gehen. Unser Bundesrat sollte aufhören, der SNB blindlings nachzuschwatzen, was diese behauptet. Und das Parlament sollte endlich lernen, wie man eine Bilanz liest und die Irrlehren der SNB anfangen zu hinterfragen.
Erschreckend: Vor wenigen Tagen schrieb der Chefredaktor Wirtschaft der führenden Wirtschaftszeitung der Schweiz (Finanz und Wirtschaft): Die SNB könne Geld drucken für wenige Rappen und dann dieses den Banken zum Nominalwert verkaufen.
Somit entstünde ein Gewinn für die SNB. Das würde bedeuten, dass das Eigenkapital auch entsprechend steigt. Die SNB könne also durch Geld drucken Gewinne erzielen und ihr Eigenkapital aufstocken.
Konkret: Würde die SNB eine 1’000-Franken-Note drucken für 50 Rappen, so könne sie diese einer Bank verkaufen für 1’000 Franken. Die SNB erzielte somit einen Gewinn von 999,50 Franken und das Eigenkapital würde um 999.5 Franken steigen.
SNB verbreitet Irrlehren
Die führende Wirtschaftszeitung der Schweiz und die SNB hätten Recht, wenn Banknoten Vermögen der SNB darstellten, also auf der Aktivseite links verbucht würden. Dann entstünde rechts in der Bilanz ein Gewinn bzw. eine Vergrösserung des Eigenkapitals von 999,50 Franken.
Denselben Irrtum begehen übrigens auch die Jünger von Kryptowährungen.
Banknoten werden aber im Gegenteil rechts verbucht. Sie stellen somit eine Schuld der SNB dar. Nicht das Eigenkapital der SNB, sondern deren Fremdkapital (Schulden) nimmt deshalb bei einer expansiven Geldpolitik zu. Woher kommen diese krassen Irrlehren in Medien und im Bundesrat und Parlament in Bezug auf die Geldschöpfung?
Die SNB selber verbreitet diese Irrlehren.
Ein früherer Vizepräsident, heutiger Präsident der SNB, behauptete in einem Vortrag bei Einführung des Mindestkurses: «Zentralbanken können nicht illiquide werden in Franken». Damit verwechselte er Banknoten mit «liquides Vermögen» der SNB – er hatte also den Kern von Geldpolitik nicht verstanden; genauso wie der Bundesrat auch nicht.
Weiter behauptete er im selben Vortrag: «Überdies besteht weder für die Aktionäre (Private und Kantone) noch für den Bund eine Verpflichtung, negatives Eigenkapital durch eine Nachschusspflicht oder ähnliche Massnahmen auszugleichen.»
Und genau hier irrt der SNB-Präsident weiter: Im Falle von negativem Eigenkapital ist die SNB handlungsunfähig, weil sie die an sie gerichteten Zahlungsaufträge nicht mehr ausführen kann.
Alle sind zufrieden
Der SNB-Präsident behauptete in seinem Vortrag vor der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Zürich aber umgekehrt, die SNB könne ihre Schulden mit selbst geducktem Geld jederzeit vollumfänglich tilgen. Das gelte seit Abschaffung des Goldstandards.
Es geht hier aber gar nicht um die Aufhebung des Goldstandards und die Goldeinlösungspflicht. Es geht um die Zahlungsfähigkeit der SNB im Zahlungsverkehr: Die SNB muss die an sie gerichteten Zahlungsaufträge jederzeit ausführen können. Das kann sie aber bei negativem Eigenkapital nicht, weil nicht genügen Vermögen da ist.
Angenommen, die SNB habe von einer Geschäftsbank eine Milliarde Euros gekauft zum Kurs von 1.2 : 1. Als Bezahlung hat sie der Geschäftsbank 1.2 Milliarden Franken auf deren Girokonto bei der SNB gutgeschrieben. Bei den Giroguthaben der Banken bei der SNB handelt es sich um gesetzliche Zahlungsmittel – der Banken. Sie dürfen damit jederzeit eine Zahlung tätigen. Die SNB muss diese ausführen.
Gleichzeitig hat die Geschäftsbank der EZB, wo sie Euros besitzt, den Auftrag gegeben, 1 Milliarde Euro von ihrem Konto bei der EZB abzubuchen und dem Konto der SNB bei der EZB gutzuschreiben. Die Geschäftsbank besitzt nun 1.2 Milliarden Franken Guthaben bei der SNB und die SNB besitzt 1 Milliarde Euro Guthaben bei der EZB. Alle sind zufrieden.
Angenommen, der Euro falle auf eins zu eins. Die Geschäftsbank wolle nun eine Investition in Euro tätigen und ihre Franken zurück in Euro wechseln. Beim Kurs von eins zu eins entsprechen 1.2 Milliarden Franken 1.2 Milliarden Euro. Die SNB muss deshalb der EZB den Auftrag erteilen, 1.2 Milliarden Euro von ihrem Konto bei der EZB auf das Konto der Geschäftsbank bei der EZB zu übertragen (umbuchen). Gleichzeitig darf sie das Guthaben der Geschäftsbank bei der SNB von 1.2 Milliarden Franken als Bezahlung löschen.
Stillstand des Handels
Das Problem ist jetzt aber: Die SNB besitzt bei der EZB nur 1 Milliarde Euro – nicht die geforderten 1.2 Milliarden Euro. Die SNB kann somit den an sie gerichteten Zahlungsauftrag der Geschäftsbank nicht ausführen. Sie ist zahlungsunfähig – obwohl der heutige SNB-Präsident in seinen Vorträgen immer wieder behauptet, die SNB könne nicht zahlungsunfähig werden, weil sie die eigene Liquidität in Franken immer selber drucken könne. Die Liquidität der SNB besteht in Devisen (und Gold) und diese kann sie nicht drucken.
Würde sich die SNB weigern, den an sie gerichteten Zahlungsauftrag auszuführen, so würde das erst recht beweisen, dass sie zahlungsunfähig ist. Zudem würde sie gegen internationale Kapitalverkehrsabkommen verstossen. Würden sich Zentralbanken weigern, Währungen in beide Richtungen zu wechseln, so würde der internationale Handel zum Stillstand kommen.
Ferner sei hier darauf hingewiesen, dass links und rechts einer Bilanz immer ausgeglichen sein müssen. Das gilt auch für die SNB. Würde eine Bank einem Hausbesitzer einen Kredit von 1.2 Millionen gewähren, obwohl das Haus nur 1 Million wert ist, so wäre das Betrug an den Kapitalgebern der Bank. Genauso würde die SNB die kreditgebenden Geschäftsbanken und letztlich das Schweizervolk betrügen, würde sie eine Umbuchung bei den Giroguthaben vornehmen, welche nicht durch Vermögen der SNB gedeckt ist.
Chaostheorie
Auch die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken wurde jahrzehntelang falsch gelehrt (Multiplikatortheorie). Erst nachdem der Schreibende diese mit Buchungssätzen in einem bekannten Blog richtiggestellt hatte, korrigierte 4 Monate später auch die Bank of England jene Irrlehre (siehe: Money Creation in a Modern Economy, Bank of England, April 2014). Im Nachhinein nahm dann auch die SNB ihre irrige Geldschöpfungstheorie von ihrer Homepage.
Die Schweizer Bevölkerung, die Politiker mit Bundesrat und Parlament täten gut daran, die Chaostheorie der SNB einmal zu hinterfragen. Der Abgrund «negatives Eigenkapital der SNB» öffnet sich immer weiter und weiter. Und der Finanzminister und die kantonalen Finanzdirektoren sollten sich endlich mit der Frage auseinandersetzen, wie sie eine Nachschusspflicht im Falle von negativem Eigenkapital der SNB finanzieren wollen?
Zum Schluss soll noch auf zwei weitere Punkte in der SNB-Chaostheorie hingewiesen werden:
Erstens: Mit ihren Stützungskäufen von Dollar und Euro hat die SNB die Inflation direkt angekurbelt – genau das, was sie nicht tun sollte.
Zweitens: Die SNB will nun die Zinsen verstärkt anheben, um so die Inflation zu bekämpfen. Sie tut das zusammen mit den Zentralbanken weltweit.
Wie bitte? Weshalb sollen höhere Zinsen die Inflation bekämpfen?Höhere Zinsen führen nicht zu fallender Inflation, sondern im Gegenteil zu höherer Inflation.
Sture SNB
Es gibt die drei Produktionsfaktoren «Boden», «Arbeit» «Kapital». Diese braucht es, um etwas produzieren zu können. Erdöl und Erdgas gehören zum Produktionsfaktor «Boden». Wenn nun die Benzinpreise steigen, so treibt das die Inflation an. Nicht wahr? Dasselbe gilt, wenn die Löhne des Produktionsfaktors «Arbeit» steigen. Nicht wahr?
Warum nun sollen steigende Zinsen, d. h. steigende Kosten des Produktionsfaktors «Kapital», die Inflation senken? Steigende Kosten beim Kapital treiben die Inflation genauso an wie steigende Kosten der Arbeit und des Bodens. Aber wahrscheinlich muss das auch zuerst die Bank of England plagiatorisch übernehmen, bis es die SNB auch glaubt.
Es wird höchste Zeit, den Nebel in der chaotischen Geldtheorie und Geldpolitik zu spalten.
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