Der vergeudete Patriotismus
Indro Montanelli schliesst sein bemerkenswertes Werk „La storia di Roma“ (Die Geschichte Roms) mit den Worten: Vielleicht liegt die Krux Italiens recht eigentlichdarin: Dass Rom als dessen Hauptstadt punkto Name und Geschichte in einem krassen Missverhältnis steht zur Bescheidenheit seiner heutigen Bevölkerung, welche – wenn es „Forza Roma !“ skandiert, damit lediglich eine Fussballmannschaft meint.
Angesichts der jüngsten Fussball-Weltmeisterschaft komme ich nicht darum herum, gewisse Parallelen zu erkennen zwischen Montanellis Nachfahren der alten Römer und den heutigen Nachkommen der Urschweizer. Statt „Forza Roma“ schreit man „Hopp Schwiiz“, aber stets geht es nur um ein Fussballspiel. Auch wir scheinen eine Vergangenheit zu haben, die angesichts unserer derzeitigen Bescheidenheit – oder vielleicht müsste man sagen Trägheit – viele Leute total überfordert. Es ist klar, dass sich mit der heutigen Geisteshaltung die Eidgenossen nie in die heroischen Schlachten geworfen hätten, welche die Schweizer Geschichte geprägt haben. Und hätten sie’s getan, hätten sie diese Schlachten wohl kaum je gewonnen.
Ich will nun hier nicht philosophieren über den Wert unserer nach Ansicht einiger Leute „integrationsverdankten“ Nati. Auch nicht über die Angebrachtheit, sich ja oder nein vertreten zu fühlen von Eingebürgerten, die in anderen Bereichen – vielleicht wichtigeren, die aber nicht den fussballerischen Beifall mit all seinen Widersprüchen geniessen – wegen ihrer noch druckfrischen Einbürgerungsbewilligung zum Gespött jener (sicherlich nicht aller) Leute würden, die sie heute preisen und über deren knappe Niederlage gegen Argentinien heulen. Es steht jedermann frei, über seine eigenen Widersprüche zu stolpern: Wie jene, die jahrein jahraus gegen die Doppelbürgerschaft motzen wenn es um Sozialmissbrauch geht, um dann stolz zu sagen „WIR HABEN“ gewonnen oder gekämpft oder „WIR HABEN“ sehr gut gespielt oder „WIR HÄTTEN“ den Sieg verdient, und die seelenruhig darüber hinwegsehen, dass wir ohne Doppelbürgerschaft die benötigte elfköpfige Mannschaft (Reservespieler nicht mitgerechnet) kaum zusammenbringen würden.
Nein, was mich traurig stimmt, ist, dass dieser „Patriotismus“ nicht auch dann aufblüht, wenn es um unsere politische Teilnahme geht, und ich meine damit nicht, in Feldschlachten seine Haut zu riskieren, sondern nur, mit seiner Stimme am politischen Geschehen der Schweiz teilzuhaben. Wenn schon nur die Hälfte all jener, die ihren Nationalstolz nur bei Sportveranstaltungen verspüren, die Gelegenheit ergreifen würden, dies auch im Rahmen ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten bei wichtigeren Landesproblemen zu tun, würde die Stimmbeteiligung bei jedem Urnengang 70% übersteigen. Und wer abstimmen geht, könnte mit Recht sagen „WIR HABEN“ gewonnen oder verloren, zugestimmt oder abgelehnt. Nicht so wie bei der sportlichen Begeisterung, bei welcher „WIR HABEN“ eigentlich bedeutet „SIE HABEN“ – es sei denn, dass man Fernsehschauen als entscheidenden Beitrag zugunsten des Landesinteresses betrachte.
Natürlich ist ein guter Teil der Bevölkerung von meiner Kritik nicht betroffen, nämlich all jene, die unsere Nati anfeuern und gleichzeitig ihren bürgerlichen Pflichten nachkommen und regelmässig abstimmen gehen. Aber wenn man sich Stimmbeteiligungen von 40% vergegenwärtigt, steht eindeutig fest, dass der „sportliche“ Patriotismus klar über den „staatsbürgerlichen“ obsiegt.
Leider haben wir den helvetischen Geist und unseren Nationalstolz dadurch entwertet, dass wir Kreti und Pleti die Staatsbürgerschaft gewährt haben. Dies auch deshalb, weil wir verraten wurden vom Bundesrat, vom Parlament und vor allem vom Bundesgericht, die mit ihrer absurden und unseligen Politik aus der „Gewährung“ des Schweizer Passes (also aus einem eminent politischen Akt) ein „Recht“ auf die Staatsbürgerschaft (also einen simplen Verwaltungsakt) gemacht haben, also zu so etwas wie beispielsweise die Erlassung eines Fischereipatents oder einer Hundemarke. Dies geschah vor allem durch Ermöglichung der Doppel- , Dreifach- oder Multi-Staatsbürgerschaft, die uns zwar vielleicht eine konkurrenzfähige Nati ermöglicht, was aber das nationale Zugehörigkeitsgefühl all jener schwächt wenn nicht gar auf den Nullpunkt bringt, die gleichzeitig Angehörige mehrerer Nationen sind. Was diese weniger dazu veranlasst, sich für die „res publica“ zu interessieren, soweit sie ihnen nicht dazu verhilft, um (mit meisterlicher Unterstützung der unproduktiven und parasitären Linken) Entschädigungen, Renten oder Pfründe herauszuholen.
Stätte wie Morgarten, Sempach, oder auch Grandson, Murten, Nancy…stehen für das Heldentum der Schweizer, die für das helvetische Ideal von Freiheit und Unabhängigkeit kämpften und dabei teilweise ihr Leben liessen. Brasilia, Manaus, São Paulo…auch hier wurde das Wirken der Schweizer als „heldenhaft“ dargestellt, aber meines Erachtens ist dieser Vergleich nicht zulässig. Früher starb man wirklich, für wenig Geld und viel Vaterlandsliebe, jetzt tritt man für Unmengen von Geld auf einen Ball, ohne jedes Risiko (ausser jenem einer bedauerlichen Verletzung; mit Schäden, welche die entsprechenden Versicherungen entschädigen). Ein heute weitaus geringerer Einsatz wird somit meines Erachtens mit einem vergeudeten und eher heuchlerischen „Patriotismus“ belohnt; dies durch jene, die sich das Schweizer Kreuz auf das Gesicht malen und „Hopp Schwiiz“ schreien und froh sind, an der WM weiter gekommen zu sein als Italien.
Schade. Die Schweiz würde mehr verdienen.
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