Wirksame Justiz oder schuldhafte Einfältigkeit ?
Editorial
Klar, Fabrice Anthamatten gilt für den Moment erst als „mutmasslicher“ Täter des Mordes an Adeline Morel – bisher kann man ihn erst der Flucht beschuldigen – auch wenn seine Täterschaft sich angesichts des Werdegangs des Delinquenten als naheliegendster Schluss aufdrängt. Aber abgesehen davon muss man sich berechtigterweise fragen, was aus unserem Justizsystem in den letzten Jahrzehnten geworden ist. Denn die Episode von Genf ist nur die letzte und leider äusserst tragische Konsequenz einer Involution des Strafsystems, das – einst repressiv und auf Bestrafung ausgerichtet – heute gegenüber Kriminellen bis zum Gehtnichtmehr immer verständnisvoller und grosszügiger geworden ist, dies allerdings ungeachtet der Opfer: Jener Opfer, die bereits Gewalttaten erlitten haben, und denen deshalb nur das sakrosankte Recht auf Bestrafung der Täter verbleibt, aber auch jener, zu welchen sie dieses unselige Gutmenschentum gegenüber den Kriminellen potenziell gemacht hat.
Für mich als keinen religiösen Dogmen nacheifernder Agnostiker ist das menschliche Leben nicht per se heilig, sondern nur insoweit als ein Mensch es mit seinem korrekten und verdienstvollen Verhalten dazu macht. Deshalb habe ich schon bei anderer Gelegenheit meine Neigung zur Verhängung von Todesstrafen ausgedrückt, jedenfalls dann, wenn ein Justizirrtum ausgeschlossen werden kann.
Die zu schützenden Menschenrechte waren ursprünglich wenige und wesentliche, wie zum Beispiel das Folterverbot und das Recht auf Nichtverfolgung aus religiösen oder politischen Gründen, aber heute wurden sie auf einen absurde breiten Fächer von Pseudorechten ausgeweitet, die de facto die Anwendung geltenden Rechts verunmöglichen oder zumindest massiv einschränken, und damit auch die daraus folgende abschreckende Wirkung. Es gibt kein Gerichtsurteil mehr, in welchem nicht schon aus Prinzip eine ganze Falanx von mildernden Umständen berücksichtigt wird, die oft einfach nachträglich herbeigeredet werden. Dies zum einzigen Nutzen des Verteidigungskonzepts von schlauen und listigen Anwälten, die sodann schamlos die Faktenlage abstreiten. Ich habe mich stets gefragt, warum ich bei Abgabe eines falschen Alibis für einen Delinquenten zu dessen Komplizen erklärt werde, währenddem es dem Strafverteidiger – auch wenn er von der Schuld seines Klienten überzeugt ist, weil dieser ihm die Tat gestanden hat – gelingt, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Beschuldigte die Tat nicht begangen habe, und er dafür erst noch mit dem Heiligenschein des Gerichts, ein vergoldetes Anwaltshonorar kassiert.
Aber kehren wir auf das Anfangsproblem zurück. Der Zweck einer Haftstrafe – zumindest im Falle von schweren Gewaltdelikten – ist es auch und vor allem, die Gesellschaft vor einer potentiellen Gefahr zu bewahren. Aber bei uns kommen Mörder und Vergewaltiger in den Genuss von freiem Ausgang, Urlauben, oder wie im Falle von Genf von Ausgängen in Begleitung einer Psychotherapeutin für „therapeutische Reitstunden“. All dies schlussendlich – was meines Erachtens von Anfang an falsch ist – um den Täter wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Man erkläre mir: Der Kriminelle im Fall von Genf vergewaltigt ein erstes Mal 2001 in der Schweiz und kassiert eine fünfjährige Gefängnisstrafe. Aber als er im selben Jahr noch immer in Freiheit auf seinen Prozess wartete, wurde er in Frankreich wegen einer anderen Vergewaltigung verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt (jedenfalls scheint es, dass die Strafen für derlei Delikte dort um einiges strenger sind). Er ersucht darum, seine Reststrafe in der Schweiz verbüssen zu dürfen – was er durfte, denn er ist französisch-schweizerischer Doppelbürger, und ein Teil seiner Familie lebt in Genf – und wurde 2008 nach Champ-Dollon verbracht. Es erstaunt nicht, dass er um seine Überführung in die Schweiz nachgesucht hat, angesichts der lächerlich milden (für Adeline Morel allerdings tragischen) hiesigen Haftbedingungen. Und einen Typen mit einem solchen „Stammbaum“ wollte man wieder in die Gesellschaft eingliedern ? Dies mittels therapeutischer Reitstunden ? Sorry, aber das arme Pferd war sich wohl kaum bewusst, Instrument derlei liebevoller therapeutischer Pflege zu sein, den sonst hätte es wohl seine Mitarbeit konsequent verweigert oder dem Kriminellen gar einen Fusstritt in den Arsch gegeben.
Meines Erachtens sollten auch Psychiater, die Gutachten abgeben, wonach die Betroffenen als geheilt zu gelten hätten und keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellten, immer dann mit schweren Strafen zur Rechenschaft gezogen werden. wenn diese Kriminellen wider die gutachterlichen Aussagen mit mehr oder weniger schweren Konsequenzen für die Opfer rückfällig geworden sind. Aber ich sage es nochmals, der Fehler liegt bereits bei der Grundannahme: Täter solch schwerer Delikte (Vergewaltiger, Mörder, Drogenhändler und andere, die den Opfern traumatische und unheilbare Schäden zufügen) dürfen – auch wenn sie, „geheilt“ oder nicht, als für die Eingliederung in die Gesellschaft für geeignet befunden werden – nicht mit der gleichen Nachsicht behandelt werden wie ein Kleinkrimineller oder Geschwindigkeitssünder auf Autobahnen. Es ist ein Mentalitätswechsel bzw. eine Rückbesinnung auf die Haltung vor 50 oder 60 Jahren vonnöten, als Gesetzesbrüche nicht stets als lässige Sünden betrachtet wurden, die man mit einem „Nasenstüber“ und einem vorwurfsvollen „tue das nie wieder !“ ahnden konnte.
Gesetze gibt es genug, und sie sind auch hinreichend wirksam. Aber solange sie mit dem absurden Gutmenschentum angewendet werden wie das unsere Gerichte tun – da macht auch das Bundesgericht keine Ausnahme, welches zu bereitwillig auf angeblichen Menschenrechtsverletzungen Bezug nehmende Beschwerden seitens nunmehr mit allen juristischen Kniffen vertrauten Straftätern gutheisst – wird unsere Justiz von den Delinquenten stets als willkommene Gelegenheit zum Profitieren betrachtet werden.