Wahrheit oder «Fake News»? Wen kümmert’s denn?

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Eros N. Mellini

Editorial

Die Komplott-Theoretiker gab es bereits früher (ihnen gemäss sei die erste Mondlandung der Amerikaner in einem Kinostudio simuliert worden, die Ermordung von Kennedy sei von der CIA begangen worden, und der Angriff auf die Twin Towers sei auf Anordnung des Weissen Hauses erfolgt) – und ich will nicht scharfsinnig darüber diskutieren, ob sie Recht hatten oder nicht, denn die Wahrscheinlichkeit gewisser, von ihnen als «Beweise» hingestellten Fakten für ihre Behauptungen ist oft etwa gleich wie all das, was von offiziellen Quellen als Realität hingestellt wird – aber heute, wo sich die Online-Informationen oder Desinformationen überbieten, gelingt es einem kaum noch, sich im Informationsdschungel zurecht zu finden: Die Verschwörer und die Anhänger des «Mainstreams» und des «Politisch Korrekten» sind nunmehr allesamt Komplotteure. Denn in Tat und Wahrheit glauben die Leute – abgesehen vielleicht von «Leuten vom Fach», von denen man aufgrund ihrer Myriaden täglich verbreiteter gegensätzlicher Informationen nicht weiss, auf welcher Seite sie stehen – all das, was ihnen von den Medien serviert wird, die sich ohne nähere Kenntnis der Umstände auf die eine oder die andere Seite schlagen. Anders ausgedrückt: Beide Fronten verfügen zur Untermauerung ihrer Thesen nur über die ihnen von den Medien übermittelten Informationen, ohne jeglichen Beweise und ohne jede glaubwürdige Zeugenaussage.

Putin ist im Angriff und erobert Territorien…Putin ist im Rückzug und ist im Begriff, den Krieg zu verlieren

Tagtäglich erreichen uns «Front»-Berichte. Blöd nur ist, dass gleichzeitig Nachrichten eintreffen, wonach die Russen am Vormarsch seien, und andere, wonach sie sich im Rückzug befänden. Klar handle es sich – nach Meinung der Anhänger der politischen Korrektheit – bei ersteren um Falschmeldungen (Putin sei ein Schurke, also MUSS er besiegt werden; wenn nicht faktisch so doch zumindest auf dem Papier), während die zweiten Meldungen unter Hervorhebung des heroischen und siegreichen ukrainischen Widerstands grösste Verbreitung finden. Persönlich glaube ich, schon nur angesichts des Ungleichgewichts der eingesetzten militärischen Kräfte, eher an die erste Hypothese, aber auch ich verfüge diesbezüglich über keine Sachkenntnis – was ich, im Unterschied zu den meisten Kritikern und Internet-Pseudoexperten, gerne zugebe. Vielleicht habe ich mir in meinen 74 Lebensjahren eine gewisse Dosis von Gefühllosigkeit aneignen können, die vielleicht die heutigen Befürworter einer uneingeschränkten Empörungs- und Entrüstungskultur skandalisieren mag, die mich aber bewahrt vor jeglicher Beeinflussung seitens des «Mainstreams».

Die Philosophie der konzentrischen Kreise

Ich habe bewusst von einer «gewissen Dosis von Gefühllosigkeit» gesprochen, da ich keineswegs ohne jede Empathie bin; nur habe ich im Leben gelernt, diese – soweit sie mich zu einem konkreten Tun veranlasst – auf Einzelpersonen zu beschränken. Anders ausgedrückt: Ich habe keinerlei Probleme, einen hungrigen Armen zu einem Nachtessen einzuladen (Geld würde ich ihm keines geben, denn da bestünde das Risiko, dass er es für andere Zwecke ausgibt), aber das Phänomen des globalen Hungers in der Welt berührt mich nicht gross. Eine rein abstrakte Sensibilität für weit von meinem täglichen Leben stattfindende Massenprobleme gehört zugegebenermassen nicht zu meinen besten Eigenschaften. Ich finde, dass die Welt mitsamt all ihrer Probleme allzu gross und kompliziert ist, für dass ich dazu beitragen könnte, irgend etwas daran ändern zu können. Ich bin ein Anhänger des alten Spruchs «Kehre vor deiner eigenen Tür, so wird die ganze Stadt sauber», aber ich bin leider gleichzeitig allzu sehr zum Realisten geworden und glaube nicht, dass dieser Spruch je umgesetzt werden wird. Und so habe ich eine Lebensphilosophie entwickelt, die ich als «Philosophie der konzentrischen Kreise» bezeichne. In diese Kreise verlagere ich meine Interessen. Im ersten Kreis befinde ich mich – man entschuldige meinen Egoismus – nur selber. In den nächsten, nur wenig unwichtigeren Kreis, setze ich meinen familiären Umkreis, meine Freunde und meine Haustiere. In den dritten setze ich meine Wohngemeinde, in den vierten meinen Kanton, in den fünften unser Land…und mit dieser Aufzählung lasse ich es bewenden, denn ich bedürfte mindestens 50 Leben, um sämtliche Probleme schon nur in diesen beschränkten Bereichen zu lösen. Soll man also keinerlei Mitleid haben mit den Opfern des russisch-ukrainischen Krieges? Oder mit den Opfern der weltweiten Hungersnot? Das behauptet niemand; aber es ist falsch, sich involvieren zu lassen in der Meinung, irgend etwas daran ändern zu können. Sicher, Mutter Theresa von Kalkutta sagte: «Wir wissen sehr wohl, dass all das, was wir tun, nur ein Tropfen im Ozean bedeutet. Aber wenn es diesen Tropfen nicht gäbe, würde ihn der Ozean vermissen». Aber auch sie war sich sehr wohl bewusst, dass ihr Wirkungsbereich nur ein Tröpfchen (beschränkt auf ein kleines Teilgebiet von Indien) ausmachte und nicht den ganzen Ozean betraf.

Ist’s Zynismus, ist’s Egoismus? Mag sein, aber sicherlich ist’s ein gesunder Realismus

In all den vergangenen Jahren hat mich diese Philosophie zum Skeptiker werden lassen; dazu, Skepsis als Grundlage all meiner Überlegungen zu machen, aus meiner Unbeirrbarkeit eine Lebensweisheit, und aus dem «Wen kümmert’s denn» eine in den allermeisten Fällen kluge Maxime. Mit der Zeit lernt man, dass alles relativ ist, selbst die jeweils zugeordnete Wichtigkeit. Je weiter aussen die Kreise sich befinden, umso kleiner wird deren Wichtigkeit von dem, was sich darin abspielt. Ist das Zynismus? Vielleicht. Egoismus? Sicherlich. Aber wenn man von diesen beiden Begriffen die negative Bedeutung ausblendet, die uns die «Politische Korrektheit» vorschreibt, verbleibt uns ein gesunder Realismus, der es uns erlaubt, das Geschehen mit der nötigen Distanz zu beurteilen, ohne uns von der tagtäglich vorgelegten medialen Propaganda der jeweils interessierten Seite beeinflussen zu lassen. Wir brauchen nicht mehr unterscheiden zu müssen zwischen der einen oder der anderen «Fake News».

Wahrheit? «Fake News»? Wen kümmert das denn eigentlich noch?

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