Verwirrende Meinungswechsel
Editorial
Ich glaube, mich widerspruchslos als treuen Unterstützer der SVP-Politik bezeichnen zu dürfen, und darauf bin ich stolz. Aber das heisst nicht, dass ich deshalb unkritisch all das zu akzeptieren habe, was man in den Chefetagen der Partei beschliesst. Das ist umso begründeter angesichts unseres Föderalismus, wo die regional sehr unterschiedlichen Verhältnisse in unserer Eidgenossenschaft dazu führen, dass bei nationalen Entscheiden den Interessen der einzelnen Kantone nicht immer Rechnung getragen werden kann. Ich glaube jedoch – ohne den weinerlichen Attitüden zu frönen, die leider hierzulande allzu oft an Stammtischen aufkommen und die heute vor allem in den „social networks“ verbreitet werden (die Tessiner in Bern seien eine quantité négligeable, Bundesbern kümmere sich keinen Deut um das Tessin, etc.) – dass ehrlicherweise niemand bestreiten kann, dass das Problem der illegalen Migranten an unserer Südgrenze im Tessin (und allenfalls in anderen Grenzkantonen) weitaus deutlicher wahrgenommen wird als in den Kantonen, die „zählen“ (Bern, Zürich) und in der Zentralschweiz.
Nun aber: Vor diesem Hintergrund erstaunt – oder besser gesagt: schockiert – der jüngste Entscheid der SVP-Fraktion der eidgenössischen Räte, JA zu sagen zur Streichung des Kreditpostens von 2,5 Millionen Franken aus dem Bundesbudget 2017 zugunsten des Ausbaus des Grenzwachtkorps (GWK), doch sehr. Dies nicht nur die Tessiner, sondern die gesamte Parteibasis. Denn es handelt sich tatsächlich um einen unberechtigten und kaum begründbaren Entscheid seitens einer Partei, in welcher die Parolen „Finanzdisziplin“ und „Sicherheit“ zumindest ebenbürtig sind. Dies aus zwei Gründen:
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Der Ausgabeposten von 2,5 Millionen bei einem Budget mit erwarteten Einnahmen von fast 70 Milliarden Franken ist dermassen vernachlässigbar, dass man aus gutem Grund dem Argument Sicherheit eine höhere Priorität einräumen könnte.
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Die SVP ist bisher für den Ausbau des GWK-Bestandes eingetreten, was von ihrer Wählerschaft 100%ig mitgetragen wird. Der plötzliche Meinungswechsel verwirrt ihre eigenen Leute, da sie in ihrer SVP (hoffentlich auch trotz diesem Fehlentscheid) die einzige Partei sehen, welche die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung ernst nimmt.
Sicher, es wurde dann im Nachhinein eine Begründung nachgeliefert (ich gebe diese so wieder, wie ich sie dem Internet entnommen habe, da ich die Sendung nicht selber mitverfolgt habe; aber wie es scheint, hat sie Parteipräsident Rösti in „Forum“ wie folgt abgegeben): Da es nicht möglich sei, innert dreier Monate neue Grenzwächter zu rekrutieren und auszubilden, erscheine der entsprechende Ausgabeposten im Budget 2007 unnütz, und deshalb übertrage man ihn auf das Jahr 2018. Einverstanden, die Begründung ist zwar etwas an den Haaren herbeigezogen – vor allem weil man nicht so recht begreift, warum die Rekrutierung und Ausbildung der neuen GWK-Bestände nur in 3 von den insgesamt 12 Monaten des Jahres 2017 erfolgen sollte – aber immerhin mag es als Erklärung dienen. Aber die Frage verbleibt: Warum wurde für diesen Entscheid nicht vorgängig eine Presseerklärung abgegeben? Nachträgliche Erklärungen haben stets einen bitteren Nachgeschmack und schmecken nach „krampfhaft zurechtgezimmerten“ Rechtfertigungsversuchen, die sicher dem Image der Partei nicht zuträglich sind. Und sie erfolgen immer stets nachdem die politischen Gegner den Unwillen des Volkes längst dazu benutzt haben, um die SVP anzugreifen.
In diesem Falle handelt es sich immerhin um eine Rechtfertigung, die verständlicher ist als jene andere: Dass die SVP-Parlamentarier den Entscheid unterstützt haben, wonach der derzeitig leichte monatliche Rückgang bei den illegalen Einreisen das Ende des Ausnahmezustands bedeute. Dies erfolgte, nachdem diese Einreisen sich im Vergleich mit 2015 verdreifacht haben (siehe die Medienerklärung von Staatsrat Gobbi).
Wie bereits gesagt: Meines Erachtens sollten die Parteispitzen – vor allem wenn es um unbedeutende Einsparungen geht – manchmal besser abwägen, was sie denn beschliessen: Lohnt es sich, das Image der Partei aufs Spiel zu setzen – mit dem Risiko, dadurch Teile der Wählerbasis zu verlieren, ohne welche die Weiterführung einer glaubhaften Politik verunmöglicht wird ?
Solange Entscheidungen dieses Typs – und dazu zähle ich auch den Vorschlag von Guy Parmelin, den Armeeeinsatz der Kosovo-Swisscoy-Mission zu verlängern – auf Bundesratsbeschlüsse beschränkt bleiben, lässt sich das relativ leicht erklären: Unsere Bundesräte müssen sich einfach der Konkordanz-Politik unserer Regierung anpassen. Aber wenn dann sogar unsere gewählten Vertreter in den eidgenössischen Räten (die durchaus legitimiert sind, eine Oppositionspolitik zu betreiben) zu solcherlei unverständlichen Entscheiden verleitet werden, ist die Verwirrung unserer Wählerschaft vorprogrammiert. Und das betrachte ich als äusserst gefährlich !
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