Gesundheitswesen und Wirtschaft müssen (bestmöglich) ausbalanciert werden

Apr 17 • Deutsche Seite, Prima Pagina • 594 Views • Commenti disabilitati su Gesundheitswesen und Wirtschaft müssen (bestmöglich) ausbalanciert werden

Eros N. Mellini

Editorial

Die SVP hat unlängst Communiqués bzw. Vorschläge an den Bundesrat publiziert, wie man – baldmöglichst – die Covid-19-Krise nicht nur punkto Gesundheit, sondern auch vom nicht minder wichtigen wirtschaftlichen Standpunkt aus überwinden könne. Sie tat dies zeitgerecht, indem sie die Regierung aufforderte, eine sofort nach dem 19. April (dem Endtermin des vom Bundesrat gestützt auf das Epidemiegesetz dekretierten Ausnahmezustands) anzuwendende effiziente Strategie zu erarbeiten. Zwischen den Zeilen gesagt ist dieser (als „ausserordentliche Lage bezeichnete) Ausnahmezustand eine Art von der Exekutive übertragenem Kriegsrecht, das für eine determinierte Zeitperiode praktisch alle Rechte ausser Kraft setzt, welche gemäss Verfassung dem Volk resp. dem Parlament zukommen. Es handelt sich um eine in Quarantänesetzung des Rechtsstaates, welche – wenn nicht ausserordentliche Umstände vorliegen würden – einem Bruch der Bundesverfassung gleich käme. Aber wie auch immer, eine Epidemie ist ein ausserordentliches Ereignis wie ein Krieg, und wenn in letzterem Fall die Einführung des Kriegsrechts gerechtfertigt (oder zumindest anerkannt) ist, kann man dafür halten, dass die für die zeitgerechte Bewältigung der gravierenden Krankheitsausbreitung absolut nötigen Massnahmen angesichts ihrer schwerwiegenden Folgen berechtigt sind. Aber eben: Der Ausnahmezustand muss zeitlich limitiert sein, und man muss von Beginn weg sein Ende absehen können, um im Verlaufe der fortlaufenden Verbesserung der gesundheitlichen Lage graduell die drastischeren Massnahmen aufzuheben.

Aber eben: Weil der Vorschlag von Seiten der SVP her kam, wettert man – wohl ohne deren Eingabe im Detail gelesen zu haben – gegen die ungeliebte Partei, bezichtigt sie der Unverantwortlichkeit und wirft ihr vor, die Interessen der Unternehmer  – der Schurken, die nur aufs Geldverdienen aus sind – den Interessen der Bevölkerung voranzustellen. In Tat und Wahrheit ist die von der SVP am vergangenen 31. März vorgeschlagene Strategie (siehe unten) unseres Erachtens äusserst vernünftig. Die Entscheide zur Schliessung der Betriebe und der Industrien müssen so bald wie möglich gelockert werden, dies selbstverständlich der Gesundheit der Bevölkerung im Rahmen des Möglichen Rechnung tragend. Das Szenario der übertrieben langen Weiterführung der Betriebsschliessungen – bis zum Ende des Virus-Alarms, das niemand voraussehen kann – ist ebenso katastrophal wie die schlimmstbefürchteten Gesundheits-Szenarien. Abgesehen von den öffentlichen Kosten – die Regierung hat bisher 42 Milliarden Franken vorgesehen für ein erstes Hilfsprogramm, dies zusätzlich zu all dem, was die Gemeinden und Kantone vorsehen, aber die Fortdauer der Krise lässt weit höhere Beiträge erwarten – denke man an jene Firmen, die schliessen oder mangels ausreichender Mittel oder Kunden Konkurs erklären müssen. Man muss eines in Erinnerung rufen: Wenn man von der Schweizer Wirtschaft spricht, betrifft dies nicht nur die grossen Industriebetriebe, sondern die kleinen und mittleren Unternehmen, die 98% der Betriebe ausmachen. Viele von diesen verfügen nicht über hinreichende Reserven, um mittelfristig überleben zu können, so dass ihr Betriebsschluss vorprogrammiert wäre. Dies hätte eine exponentielle Zunahme der Arbeitslosigkeit zur Folge. Man denke schon nur an dies: Dass in einem einzigen Monat, von Februar bis März 2020, die Arbeitslosenquote in der Schweiz von 2,5 % auf 2,9 % (+ 0,4 %) zugenommen hat, im Tessin von 3,4 % auf 3,6 % (+ 0,2 %). Dazuzuzählen sind all die Teilzeitbeschäftigten. Und dies betrifft nur den ersten Monat seit Inkraftsetzung, also den Zeitpunkt, in welchem die Betriebe wohl noch über einige Reserven verfügten und dazu staatlich unterstützt wurden. Stellen wir uns vor, wie die Lage aussehen wird, wenn die Reserven aufgebraucht sind und die staatliche Hilfe, die wohl nicht übermässig lang dauern kann, ausfallen wird!

Eines muss klar sein: Wenn die öffentliche Gesundheit das Mass aller Dinge für unser Überleben in einem mehr oder weniger lang zeitlich beschränkten Zeitraum ist, ist und bleibt die Wirtschaft das Mass aller Dinge für das Überleben von uns allen –  jederzeit heute und auch künftig, wenn die Krankheit überstanden sein wird. Die öffentlichen Gesundheitsmassnahmen retten uns, oder verhindern Ansteckungen, aber von Krankheiten genesen wir nur, wenn wir am Leben bleiben. Und dieses Überleben sichert uns nur die ach so vielgeschmähte Wirtschaft mit ihrer Produktion von lebenswichtigen Gütern, mit ihren Lohnzahlungen, welche die Industrien und Betriebe nur garantieren, wenn sie weiter arbeiten können. Nicht zu vergessen ist zudem auch, dass es die Wirtschaft ist, welche die Kosten der prioritär einverlangten Gesundheitsvorsorge trägt. Wie viele Marathonläufer (des Gesundheitswesens) könnten ihr Rennen beenden, wenn es nicht Zwischenstationen (die Wirtschaft) gäbe, die ihnen Wasser vor dem Verdursten reichten?

Deshalb müssen – wie im Titel dieses Artikels gesagt – Gesundheitswesen und Wirtschaft (bestmöglich) ausbalanciert werden, wobei das „bestmöglich“ zu verstehen ist als Priorität des Gesundheitswesens während der Periode der grössten Ausbreitung der Epidemie; aber danach muss beiden Bereichen dieselbe Bedeutung zukommen. Denn das Zusammenbrechen der Wirtschaft würde zumindest ebenso viele Opfer fordern wie die die schlimmsten Coronavirus-Folgen. Die Forderungen der SVP, so bald wie möglich – im Rahmen des Möglichen und unter Einhaltung der elementarsten Sicherheitsnormen – den gegenwärtigen „Lockdown“ zu lockern, ist mehr als nur logisch. Darüber nachdenken muss man richtigerweise jetzt, und darf dafür nicht erst den Endalarm abwarten. Das Prinzip, dass es für jedes Geschäftsjahr vorgängig eines Voranschlags bedarf, ist für die zeitgerechte Bewältigung der „Nach-Covid-19-Krise“ ebenso anzuwenden.

 

Strategiepapier der SVP zur Überwindung der Covid-19-Krise

Schutz der Bevölkerung unter Minimierung der wirtschaftlichen Schäden: Strategie für die Schweiz nach dem 19. April 2020

1. Ausganslage

Der Bundesrat hat in Folge der Pandemie Coronavirus am 16. März 2020 im Notrecht gemäss Epidemiegesetz weitgehende Beschlüsse gefasst. Diese sollen zum Schutz der Menschen vor der Corona-Epidemie dienen, haben aber gleichzeitig massive Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger und massive Interventionen in die Wirtschaft zur Folge und setzen die schweizerische Staatsordnung und den Rechtsstaat weitgehend ausser Kraft. Diese Notregelungen sind vorerst bis zum 19. April 2020 befristet. Um die Schäden für die Wirtschaft insbesondere die Einkommens- und Umsatzverluste zu mildern, wurde ein Notprogramm von 42 Milliarden Franken durch den Bund und zusätzliche Massnahmen durch Kantone und Gemeinden beschlossen.    Die Corona-Epidemie und ihre Folgen waren anfänglich noch unbekannt. Heute zeichnet sich klar ab, dass die Pandemie stark ansteckend ist und insbesondere für ältere Personen und für Menschen mit besonderen Vorerkrankungen gefährlich ist, da die Sterbequote für sie erhöht ist. Allerdings ist absehbar, dass die getroffenen Schutzmassnahmen der Wirtschaft massive Schäden für Unternehmen, Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die ganze Bevölkerung verursachen, die weit grösser sein werden als die Folgen der Epidemie.

2. Beschreibung des Problems

Es zeichnen sich vier Problemkreise ab:

  • Wie ist die Bevölkerung ab dem 19. April 2020 risikobasiert und damit differenziert

zu schützen?

  • Wie ist dies zu tun, ohne die massiven wirtschaftlichen Folgeschäden, wie sie

durch die Massnahmen des Bundes ausgelöst wurden – und noch werden?

  • Was ist zu tun, um die Wirtschaft nach der teilweisen oder totalen Aufhebung der

am 16. März 2020 getroffenen Massnahmen wieder in Schwung zu bringen?

  • Wie kommt die Schweiz möglichst rasch aus dem Notrechtregime heraus und

wieder in die verfassungsmässige, demokratische Staatsordnung zurück?

3. Möglichkeiten von Massnahmen nach dem 19. April 2020

3.1.   Noch striktere Isolation aller Menschen durch allgemeines Ausgehverbot und zusätzliche Stilllegung der Wirtschaft.

> Keine Lösung, obwohl dadurch Isolation für alle, da die negativen Folgen für das ganze Land (Arbeitslosigkeit, Firmenzusammenbrüche, Armut und Hunger) die Schäden der Corona-Epidemie um ein Vielfaches übertreffen würden.

3.2.   Weiterführung der bereits beschlossenen Massnahmen.

> Keine Lösung, da die Kollateralschäden bereits enorm sind und für einen zielgerichteten und risikobasierten Schutz der Bevölkerung nicht notwendig sind.

3.3.   Aufhebung sämtlicher mit dem Schutz vor der Corona-Epidemie begründeten Einschränkungen der Freiheitsrechte und der Interventionen in die Wirtschaft.

> Ablehnung: Angesichts des Krankheitsverlaufes zu früh, aber als Ziel anzustreben, denn die Notfallordnung darf nicht zum Regelfall werden.

3.4.   Optimale Strategie, die den Schutz der Bevölkerung, ohne massive Staatseingriffe und die Wiederherstellung der verfassungsmässigen Ordnung, so schnell wie möglich gewährleistet.

  • Diese Strategie bietet zielgerichteten Schutz für die Bevölkerung, verhindert die verheerenden Nebenwirkungen, ermöglicht bis auf risikobasierte Ausnahmen das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben und die baldige Herstellung der verfassungsmässigen Ordnung. Diese Variante ist zu wählen. Siehe Ziffer 4.

Zu verfolgende Strategie

Im Detail heisst dies:

4.1.   Sofortmassnahmen: Die vom Bundesrat am 16. März 2020 beschlossenen Massnahmen sind ungeachtet der Richtigkeit bis zum 19. April 2020 durchzusetzen.

  • Die zu Tage getretenen Mängel in der Krisenvorsorge sind sofort zu beheben. Insbesondere ist der Beschaffung von Schutzmasken, Schutzbekleidung, Testkits, Medikamenten und Beatmungsgeräten höchste Priorität einzuräumen.

4.2.   Zum Schutz der Bevölkerung haben sich die besonders gefährdeten älteren Personen und die Menschen mit Vorerkrankungen selbst vor Ansteckung zu schützen und sich deshalb konsequent zu isolieren. Der Staat wirkt darauf hin, dass dieses Verhalten umgesetzt wird.

  • Das bedingt verstärkten Grenzschutz: Keine Einwanderer der Risikogruppen und keine Einwanderer, deren Virus-Freiheit nicht sichergestellt ist.
  • Tragpflicht von Schutzmasken, wo ein Kontakt zwischen Menschen stattfindet. Das Medizin- und Spitalpersonal ist ab sofort mit medizinischen Atemschutzmasken und dann die gesamte Bevölkerung mit regulären Schutzmasken auszurüsten bzw. deren Verteilung in der Öffentlichkeit sicherzustellen. Das konsequente Tragen von Schutzmasken vermindert das Risiko von unbewussten Ansteckungen.
  • Weisungen zum Abstandhalten, Desinfektionsmittel, Händewaschen sind grundsätzlich beizubehalten.
  • An Covid-19 positiv getestete Risikopatienten sind in strikte Quarantäne zu setzen.

4.3.    Zur Wiederherstellung einer funktionierenden Wirtschaft und Gesellschaft sind für alle anderen Gruppen, das heisst für das Gros der Bevölkerung unter Einhaltung der Distanz- und Hygienemassnahmen:

  • Das Arbeitsverbot ist aufheben, wo kein Home-Office möglich ist;
  • Läden sind unter Einhaltung der wirksamen Schutzmassnahmen zu öffnen;
  • Restaurants sind unter Einhaltung der wirksamen Schutzmassnahmen zu öffnen – allenfalls mit Besuchsverbot der Risikogruppen;
  • Schulen sind risikogerecht zu öffnen;
  • Das Versammlungsverbot ist zu lockern;
  • Die Unterschiedliche Betroffenheit der Regionen ist bei den Massnahmen zu berücksichtigen..

4.4.   Wiederherstellung der verfassungsmässigen Ordnung. Das Notfallregime ist ausserhalb der in 4.1. und 4.2. genannten Einschränkungen ausser Kraft zu setzen und in die verfassungsmässige Ordnung über- und einzuführen.

Die obengenannte Regelung ist bis Ende Mai 2020 zu befristen.

 

Bern, 31. März 2020

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