Die konstante Nachgiebigkeit

Mar 7 • Deutsche Seite • 2256 Views • Commenti disabilitati su Die konstante Nachgiebigkeit

Eros N. Mellini

Eros N. Mellini

Editorial

 

Dieses Konzept wurde geprägt vom ex-Präsidenten und heutigen Ehrenpräsidenten der SVP Tessin, Dr. Gianfranco Soldati, um damit Bundesberns unterwürfige Haltung gegenüber der EU zu umschreiben. In der Tat haben in der Aussenpolitik der vergangenen 25 Jahre Regierung und Parlament in Bern eine schlechterdings wankelmütige Konstanz an den Tag gelegt: Nachgeben, nachgeben und nochmals nachgeben gegenüber den ausländischen Druckversuchen – sei es seitens der USA oder der EU. Mit einer Verzagtheit, die unsere Vorfahren in den Wahnsinn getrieben hätte, ging man (sozusagen) nach dem Motto „wir können nicht anders, sie sind zu stark für uns“ vor, ungeachtet der Wohlstandseinbusse, welche uns dies beschert hat, aber auch des „Image“-Verlusts unseres Landes bei unseren internationalen Gesprächspartnern, die uns einst respektierten und beneideten, und nun nur noch als Milchkuh betrachten, die man beliebig melken kann, wenn man nur etwas die Stimme erhebt.

 

Unnötig zu sagen, wie schädlich diese Haltung sich auch intern auswirkt, wo Teile der Bevölkerung schon vom Katastrophenszenarienvirus befallen sind, die unsere „classe politique“ verbreitet, die ihrerseits zur Aufgabe des Landes und seiner grössten Werte wie Freiheit und Unabhängigkeit neigt. Man kann getrost sagen, dass Bundesbern dabei ist, die Ketten für unsere Versklavung zu schmieden.

 

Glücklicherweise kann das Volk – solange es dies noch darf – dank der direkten Demokratie dem entgegen halten, aber aufgepasst: Wenn wir die „classe politique“ gewähren lassen, wird sie uns über kurz oder lang auch diese entziehen. Denn in der Tat sind sie bereits daran, sie zu unterwandern mit der Komplizenschaft des Bundesgerichts, welches immer häufiger mit seiner Rechtsprechung schamlos gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstösst. Dadurch, dass es sämtliche von der Schweiz unterschriebenen internationalen Abkommen auf Verfassungsrang erhebt, erklärt es sämtliche Initiativen, die dem (auch nicht zwingenden) Völkerrecht widersprechen, als verfassungswidrig. Das Ziel, dem Völkerrecht den Primat über unsere Verfassung zuzusprechen, ist offensichtlich unverschämt, aber wenn das Bundesgericht sich dies erlaubt, dann weil die politischen Kräfte diese fragwürdigen Entscheide absegnen – wenn nicht gar fordern.

 

Auch dass man die Initianten aus der Arbeitsgruppe ausgeschlossen hat, welche die Ausführungsgesetzgebung zu dem am 9. Februar beschlossenen Verfassungsartikel auszuarbeiten hat, ist symptomatisch für den Willen des Bundesrats, den Volkswillen soweit möglich zu verwässern, um dann einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten, der den Status quo nur unwesentlich verändert, vielleicht um ihn auch nur hinter praktisch völlig unbedeutenden Grundsatzerklärungen zu verstecken. All dies, um nicht die vier Vögte aus Brüssel zu brüskieren (die öffentliche Meinung in den EU-Staaten hat bereits sehr klar den Volkswillen aufgezeigt, auf unserer Seite zu stehen und sogar selber Referenden verlangen zu wollen, die wahrscheinlich das gesamte künstliche EU-Gerüst zum Einsturz bringen könnten).

 

Diese Volksmanifestationen haben für den Moment zu Retorsionsmassnahmen geführt, die ans Lächerliche grenzen: Man verweigert uns den Anschluss an das Studentenaustauschprogramm Erasmus, an dem kaum 2 % der Schweizer Studierenden teilnehmen. Schade, dass der Präsident der Budgetkommission des Europaparlaments seinerzeit der erste war, die finanziellen Probleme der Studien- und Forschungsprogramme nicht zu verheimlichen, da die Mitgliedstaaten – die weit wichtigere Prioritäten haben – viel zurückhaltender sind in der weiteren Sprechung von milliardenschweren Subventionen. Das Erasmus-Programm ist somit offensichtlich halb beerdigt und halb bewegt es sich auf äusserst glitschigem Terrain. Wenn die Schweiz sich davon verabschiedet, dann umso besser.

 

Was mir aber wirklich schleierhaft ist, ist die absolute Trägheit der Schweizer Politik, allererst seitens des Bundesrates, im Hinblick auf die Retorsionsmassnahmen der EU. Obschon lächerlich und unbedeutend, sollte Bundesbern mindestens so tun, sie zum Nennwert zu nehmen; aber nicht, um sich in den Chor der europhilen linken Jammerer zu gesellen, sondern um ihnen eine weitaus gewichtigere und wirksamere Gegenmassnahme entgegen zu setzen: Die Einfrierung sämtlicher Zahlungen an die EU und ihrer Mitgliedstaaten im Rahmen von – ob für uns vorteilhafte oder schädliche spielte keine Rolle – Abkommen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten unterschrieben haben. Anders gesagt: Kein einziger Franken darf aus der Schweiz in die Kassen von Brüssel fliessen, solange nicht neue Verhandlungen über die Bilateralen in unserem Interesse (vor allem anderen der freie Personenverkehr) nicht nur in Angriff genommen, sondern zu unserer Zufriedenheit zu Ende geführt worden sind. Angesichts der katastrophalen Lage, in der sich die meisten Staaten der EU befinden, ist der Druck auf deren Geldsack die einzige Möglichkeit, ihre arroganten Führungsfiguren in vernünftige Bahnen zu lenken.  

 

Vom Virus des Konzepts der konstanten Nachgiebigkeit scheinen mittlerweile allerdings auch unsere kantonalen Behörden befallen zu sein. Denn allzu häufig mussten wir uns sagen lassen: „Das kann man nicht tun, denn es verstösst gegen übergeordnetes Bundesrecht“. Das hat dazu geführt, dass die SVP Tessin eine Initiative ausgearbeitet hat, wonach die vom Volk am 9. Februar beschlossenen Grundsätze in unserer Kantonsverfassung verankert werden sollen, ungeachtet der von Bern noch auszuarbeitenden Ausführungsgesetzgebung.

 

Die Forderung, das Grenzgängerabkommen mit Italien neu zu verhandeln, findet im ganzen Kanton über sämtliche Parteigrenzen hinweg Zustimmung. Die – leider nur teilweise applizierte und zu früh aufgegebene – Blockierung der Steuer-Rückerstattungen hat bereits 2011 bewiesen, eine nicht unwirksame Waffe darzustellen, um in Italien und Bundesbern etwas zu bewegen. Es waren dies einige Schreckensszenarien, die man dem Bundesrat mit Entschiedenheit vor die Nase halten sollte. Aber es kam anders. Das unrühmliche „Kurzschauspiel“ von Bundesrätin Widmer-Schlumpf in Agno hat klar aufgezeigt: Dass sich, erstens, der Bundesrat keinen Deut um die Tessiner Probleme schert. Zweitens kommt Widmer-Schlumpf (mit derselben Arroganz, die es sechs von sieben Bundesräten erlaubt, trotz der Ohrfeige vom 9. Februar an ihren Sesseln kleben zu bleiben) zu uns um zu sagen, dass das Grenzgängerabkommen mit Italien tabu sei; schliesslich drittens, dass die Blockierung der Steuer-Rückerstattungen überhaupt kein Thema sei.

 

Das wäre eigentlich die Gelegenheit gewesen, um endlich die Probleme ernsthaft anzugehen und um das Minimum an Föderalismus einzufordern, das Bundesbern den Kantonen zunehmend entzieht. Anders gesagt: Wir blockieren die Rückerstattungen, und dann sehen wir weiter. Aber nein, man unterstrich auf der einen Seite die Position des Kantons und den Willen, das Grenzgängerabkommen zu kündigen, und auf der anderen Seite bekräftigte man auch den Willen, die Steuerabkommen „zu unseren Gunsten“ neu zu prüfen. „Wir sind beunruhigt, aber es gibt auch positive Elemente“ – sagte der Präsident des Regierungsrats Beltraminelli. Insgesamt ein paar fromme Wünsche – derart banal, dass die Bundesrätin es nicht einmal wagte, sie den Medien zu präsentieren – aber man erleidet weiterhin unterwürfig das Diktat Bundesberns, dessen Zustimmung im Volk noch nie so tief war wie heute. Ein weiteres leuchtendes Beispiel von „konstanter Nachgiebigkeit“ !

 

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