Die doppelte Staatsbürgerschaft: eine unnötige Ambiguität

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Eros N. Mellini

Editorial

Der Entscheid von Ignazio Cassis, im Hinblick auf seine Kandidatur für die Bundesratswahl auf seinen italienischen Pass zu verzichten – wenn für Heinrich IV Paris durchaus eine Messe wert war, sollte dem Tessiner Parlamentarier für eine Bundesratskandidatur dieser Verzicht nicht sonderlich schwer gefallen sein – hat die Diskussion neu entfacht über die Opportunität, mehrere Staatsbürgerschaften zu besitzen. Dies gilt für einen Politiker so gut wie für den einfachen Mann (oder die Frau) auf der Strasse, für einen Spitzenathleten etc. Aber in unserer Zeit des heuchlerischen Gutmenschentums und der übertriebenen politischen Korrektheit wird schon nur das Aufwerfen der Frage „Ist es opportun oder nicht, dass man über zwei oder mehr Pässe verfügen darf?“ sofort verdreht oder gar noch schlimmer dazu instrumentalisiert, um die Skeptiker zum Gespött der Leute zu machen und als Fremdenfeinde, Rassisten oder als noch weitaus Schlimmeres hinzustellen.

Eine Grundsatzfrage

Bis zum Jahr 1992 – als das Parlament im Alleingang (das Volk wurde hierzu nicht befragt) entschied, die Doppel- oder Mehrfachbürgerschaft zuzulassen – mussten die Neueingebürgerten formell und offiziell auf ihre bisherige Staatsbürgerschaft verzichten, was keinerlei Probleme verursachte. Das bot allenfalls gar, von wenigen Fällen abgesehen, dafür Gewähr, dass der Einzubürgernde für seinen Entscheid von einem echten Liebes- und Dankesgefühl gegenüber seinem Gastland beseelt war. Andererseits gab es auch viele Ausländer, die trotz langjährigen Aufenthalts bei uns die Beibehaltung ihrer ursprünglichen Nationalität vorzogen und darauf verzichteten, Schweizer zu werden. Da sie einen klaren Entscheid fällen mussten, entschieden sie sich für die eine oder die andere Möglichkeit und verloren in keinem der beiden Fälle den nötigen Respekt von uns gegenüber all jenen, die sich bei uns aufhalten und sich hier gebührend gesittet und ehrlich betragen. Zumindest von Seiten der ebenso gesitteten und ehrlichen Schweizer, wobei es schon damals leider einige ungehobelte fremdenfeindliche Landsleute gab. Was immer man darüber sagen mag, diesen Respekt zollte ihnen gegenüber auch die Mehrheit all jener, die seinerzeit den verschiedenen Schwarzenbach-Initiativen zustimmten, da sie (wie ich selber auch) nicht von Fremdenfeindlichkeit getrieben waren, sondern sich Sorgen machten über die sich abzeichnende exzessive Überfremdung. Dies zu Recht, wenn man bedenkt, dass zu Schwarzenbachs Zeiten der Ausländeranteil in der Schweiz 12-14 % betrug und heute fast 25% ausmacht. Aber, um auf den Kern der Sache zurück zu kommen, die Frage der Mehrfachstaatsbürgerschaft ist eine Grundsatzfrage: Zweien Herren diente Goldonis Harlekin, eine Figur aus der Commedia dell’Arte, die sicher nicht als Referenzperson herangezogen werden kann, um die Absurditäten der realen Welt zu erklären.

Der Wert des Passes

Was den Leuten – die wie jene meiner Generation mit einem (berechtigten) Nationalstolz aufgewachsen sind – die Haare zu Berge stehen lässt, ist, dass in dieser – zugegebenermassen auf Wirtshausniveau (aber immerhin) geführten – Diskussion in den Social Media der Schweizer Pass immer öfters banalisiert wird; er sei alles in allem nicht mehr als ein „Stück Papier“ und es gehe um weitaus wichtigere Werte. Der als Ablenkungsmanöver und aus Argumentationsnotstand heraus erfolgte Rückgriff auf das „Gutmenschentum zugunsten anderer“ ist leider auf allen politischen Ebenen zur allgemeinen Praxis geworden. Und so sehen wir uns denn, weil wir fortdauernd besser diese „weitaus wichtigeren“ Probleme zu lösen hätten, konfrontiert mit einer unbestreitbaren Einbusse an Lebensqualität, einem Wohlstandsverlust und einem Sicherheitsmanko, einer ebenso absurden wie unerklärlichen Sucht nach einer Nivellierung nach unten, um (endlich) ebenso schlecht dazustehen wie die anderen. Aber der Pass ist nicht nur ein simples Stück Papier, sondern ein Zertifikat für die Zugehörigkeit zu einem Land, das sich von den anderen Ländern unterscheidet, obschon es teilweise deren Sitten und Gebräuche teilt.

Nicht nur die Politiker…

Die Eiterbeule, die schon seit 1992 bestand und nur von Zeit zu Zeit einige Reaktionen hervorrief, platzte eigentlich erst nach dem Bekanntwerden, dass Ignazio Cassis und weiter auch Pierre Maudet – beides Bundesratskandidaten – die doppelte Staatsbürgerschaft besassen. Horror und Staatsverleumdung! Ein Bundesrat darf nicht zwei Pässe besitzen, er ist aufgerufen, die Schweiz gegenüber anderen Staaten zu vertreten, worunter über kurz oder lang auch sein Heimatstaat sein kann…und welche Interessen vertritt er dann? Der Einwand ist, wohlverstanden, mehr als nur berechtigt, aber warum gilt er nur beschränkt auf die Mitglieder der Landesregierung? Sind denn nicht auch die Politiker auf allen staatlichen Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) sowie auch die Beamten der Justiz-, Polizei- und Armeebehörden etc.etc. in der gleichen Lage…bis hinunter zum Mann (oder der Frau) auf der Strasse? Ein Freund von mir hat mich letzthin darauf hingewiesen, dass die Gewährung der Doppel- oder Mehrfachstaatsbürgerschaft eine Diskriminierung darstelle gegenüber den Inhabern nur eines einzigen Passes. Wie soll man dem widersprechen? Wenn jemand aus Opportunismus diese Wahlmöglichkeit ergriffen hat, dann sicher nicht um durch eine Staatsbürgerschaft Nachteile zu erleiden, sondern um von einem absurden Gesetz zu profitieren, um aus der doppelten Staatsbürgerschaft den maximalen Profit zu ziehen.

…und nicht nur ein bewaffneter Konflikt…

Eine – allerdings für die Befürworter der Mehrfachstaatsbürgerschaft kaum relevante – Ratlosigkeit ergibt sich aus der allerdings nicht eben wahrscheinlichen Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts zwischen der Schweiz und dem Herkunftsland des betroffenen Ministers. Auf welche Seite würde er sich schlagen? Aber bei dieser Fragestellung handelt sich um eine eingeschränkte Sicht der Dinge. Denn auch ohne dass man täglich aufeinander schiesst sind die Politiker dazu aufgerufen, Positionen zu verteidigen, die mit jenen anderer Länder kontrastieren: Das Treffen von Massnahmen im Rahmen des freien Personenverkehrs, Steuerabkommen, Informationsaustausch etc. etc. Das alles sind Dossiers von nicht geringerer Bedeutung, in denen keine Zweideutigkeiten erlaubt sind. Auch wenn heute die Haltung von Bundesbern zur EU das Gegenteil vermuten lässt…aber wer weiss ob das nicht auf den unheilvollen Einfluss der Doppelbürgerschaften zurückzuführen ist, die nunmehr auch bei unserer „classe politique“ grassieren?

Zurückzukehren ist leider schwierig

Leider erweist sich ein Zurück als schwierig, da es in einer hypothetischen Volksabstimmung kaum möglich sein dürfte, gegen die direkt interessierten Mehrfachbürger samt den Stimmabstinenzlern eine Mehrheit zusammen zu bringen. Aber zumindest zu verhindern versuchen, dass Amtsträger nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, hat mehr Chancen. Deshalb sind sämtliche in diese Richtung zielende parlamentarische oder Volksinitiativen willkommen. Und man sollte sich nicht einschüchtern lassen vom gegnerischen Getrampel: Für nur eine einzige Staatsbürgerschaft einzutreten bedeutet nicht Fremdenfeindlichkeit oder Feindschaft gegenüber Inhabern anderer Pässe, sondern bedeutet einzig und alleine, den Schleier der Zwiespältigkeit zu lüften, hinter dem sich blankester Opportunismus verbirgt.

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