Armselige Medienwelt
Editorial
Heutzutage müssen die Medien mithalten können. Die gedruckten Zeitungen haben bisher (bis wann wohl?) hauptsächlich deshalb überlebt, weil es eine Bevölkerungsschicht gibt, welche die informatisierten Medien grundsätzlich ablehnt und die es somit vorzieht, die traditionellen Zeitungen zu lesen, sei es zum Frühstück oder in der Mittagspause. Da es sich dabei allerdings grossmehrheitlich um ältere Leute handelt, geht dieser Anteil an der Bevölkerung mehr und mehr zurück und es kommt zu keinem Generationenwechsel, was für die gedruckte Presse über kurz oder lang unausweichlich das Todesurteil bedeutet. Deshalb auch das immer kleinere Interesse von Teilen der Wirtschaft an der Zeitungswerbung, die logischerweise auf die elektronischen Medien umgeleitet wird, die sich mehr und mehr verbreiten, um damit ein weitaus grösseres «Publikum» zu erreichen. Dies, weil die Medien eine Art Konsumartikel sind; also benötigen sie Kunden, die für eine Erhöhung der Auflage und damit logisch für die Attraktivität für die Inserenten sorgen.
Vergrösserung der Kundschaft = Einbussen an der Qualität der Information
Besser würde man wohl statt von einer Senkung der Informationsqualität von ihrer Verwässerung sprechen, hin zu einer Unmenge von Klatsch und Banalitäten, die sie disqualifizieren. Es ist logisch: Um die hohe Qualität einer Zeitung zu erhalten, muss man sich an einen kleinen Leserschaftskreis richten, der an einer ernsthaften oder zumindest vertrauenswürdig erscheinenden Information interessiert ist. Aber leider ist dieses Zielpublikum extrem beschränkt und nicht ausreichend, um das Überleben einer Zeitung zu sichern. Als ich im Kindesalter war, gab es drei Typen von Publikationen: Die seriösen, die «halb-seriösen» und die Skandalpresse. Zur ersten Kategorie gehörten die Tageszeitungen und die ausschliesslich der Information verpflichteten Wochenblätter – sei es punkto Aktualitäten, Politik oder Wirtschaft – zu welcher allenfalls die Todesanzeigen und die Leserbriefe kamen. Im Tessin beispielsweise könnte man den «Corriere del Ticino», «Il Dovere» und «Eco di Locarno» aufführen, und, warum nicht, auch «Il Paese».
Diese Zeitungsorgane betrachteten mit kritischem Auge – und mit einer gewissen Überheblichkeit – die «halb-seriöse» Presse, die zugegebenermassen mit einer gewissen Voraussicht ihren Leserschaftsanteil ausgeweitet hatte, indem sie leichter verdaulichere Rubriken einführten mit Klatschnachrichten über die gängigen Promis und die unverzichtbare Foto eines kaum bekleideten Mädchens (die Darstellung völlig nackter Mädchen war damals ein Privileg von «Playboy»). Ich spreche von Voraussicht, weil damals der «Blick» in der Schweiz die weitaus verbreiteteste Tageszeitung war und weitaus mehr gelesen wurde als etwa die «Neue Zürcher Zeitung» oder die «Tribune de Genève».
Zur dritten Kategorie gehörten die einzig dem Klatsch gewidmeten Zeitschriften, mit Fotos von Paparazzis, die sich – um nicht den Ärger ihrer Abgebildeten zu erregen – auf Distanz hielten und mit Teleobjektiven Aufnahmen machten, die wegen ihrer schlechten Qualität dermassen diffus waren, dass man ohne das Lesen der Bildlegende kaum zwischen Gina Lollobrigida und Nikita Chrustschow hätte unterscheiden können. Um Strafklagen wegen der Verletzung der Privatsphäre zu vermeiden, verdeckten sie Teile der abgebildeten Gesichter mit einem schwarzen Balken, womit damit die Konfusion total wurde. «Eva», «Chi», «Novella 2000» – um nur einige zu nennen – wurden vor allem gelesen von einem Publikum „Desperate housewiwes», die in diesen Zeitschriften hautnah die amourösen Abenteuer von Promis und Film- oder TV-Stars verfolgten. Um einen heute kaum noch getroffenen Unterschied zwischen den Geschlechtern hervorzuheben (den ich mit meiner gut bekannten fehlenden politischen Correctness persönlich bedaure) stelle ich fest, dass die Männer vorweg dem Sport zugetan waren, vor allem durch Lektüre der rosaroten «Gazzetta». Mit einer Ausnahme: Unter den Zeitungen, die in den Warteräumen bei den Coiffeuren gelesen wurden, fand man oft «Cronaca vera», eine zweideutige Publikation, in welcher über Promis und Stars nur die tatsächlichen oder vermuteten Skandale veröffentlicht wurden, um sie dann mit den ersten «Oben-ohne»-Bildern anzureichern, was die Phantasien der meist ausgeprägten Machos anregte.
Das Aufkommen der elektronischen Medien
Mit dem Aufkommen der elektronischen Medien haben wir zwei Dinge erlebt: Einerseits wurden die Druckmedien dazu gezwungen, zusätzlich ein Internetportal anzubieten, das im Gegensatz zur traditionellen Presse, die nur einmal pro Tag erschien, jederzeit aufdatiert werden kann und das Nachrichten in Echtzeit verbreitet, so dass daraus geradezu ein Wettlauf darum entstand, wer die Nachricht zuerst bringt.
Zweitens hat man damit eine enorme Schaubühne ins Leben gerufen für Pseudo-Journalisten, die sich auf bekannte Meinungsmacher berufen und einen eigenen «Blog» betreiben, von wo aus sie hemmungslos ihren (übrigens von niemandem verlangten) «Senf» abgeben an ein grösstenteils nur in ihrer Vorstellung existierendes Publikum, das sich in Tat und Wahrheit keinen Deut schert um ihr Geschwätz.
Drittens schliesslich, wurden Tür und Tor geöffnet für die Jagd auf «Likes» – Gradmesser für Zustimmungsraten und somit für die Attraktivität der Werbung – was dazu führt, dass auch die einst als «seriös» eingestuften Blätter die unverschämtesten Klatschbeiträge aufgenommen haben.
Zu Nachrichten und «Fake News» über die Pandemie oder den Ukrainekrieg gesellen sich in den journalistischen Portalen Nachrichten wie «Ilary Blasi und Francesco Totti haben sich getrennt», gefolgt dann von verschiedenen Aufdatierungen, aus denen man erfährt, dass sie mit den Kindern in die Ferien fuhr, während er zu seiner neuen Flamme flog. Das Tragische daran ist, dass auf Nachrichten dieser Art Hunderte von Kommentaren folgen. Darunter zugegebenermassen auch einige vernünftige des Typs «Aber wen kümmert das denn?», aber es handelt sich hauptsächlich um effektiv interessierte Leser/innen, die ihre Meinung zugunsten der einen oder anderen Partei ausdrücken wollen.
Ausbreitungsraum für die Manipulation
Wenn dies der mittlere Intelligenzgrad des Medienpublikums ist, ist es nur allzu verständlich, dass dieses Publikum manipulierbar wird mittels einer bewusst tendenziösen Desinformation. Als solche zu betrachten sind denn auch sowohl die Information als auch die Gegeninformation, wenn diese instrumentalisiert werden von einer gewissen (zumeist regierungstreuen) Stossrichtung, um auf drastische Weise die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen und losgelöst vom Wahrheitsgehalt der Information Zustimmung zu erhalten. Dass Ilary und Totti sich getrennt hätten, ist leicht überprüfbar, da braucht man nur sie selber oder ihren Bekanntenkreis zu befragen. Aber ob Putin oder die NATO Schuld seien am Ukrainekrieg, oder ob es sich bei Covid-19 um eine echte Pandemie oder nur um eine etwas schlimmere Form von Grippe handle, das sind Fragen, die den Erkenntnishorizont der einfachen Bürger übersteigen, die sich somit lediglich auf das beschränken müssen, was ihnen die Medien in der einen oder anderen Richtung auftischen.
Mit der Konfusion, welche die beiden Stossrichtungen in den Köpfen der einfachen Bürger auslösen darf man sich nicht wundern, dass sich deren Interesse auf die weitaus verständlicheren Familienaffären einer VIP-Familie verlagert.
Ob Putin den Krieg gewinnt oder ob der Widerstand von Selenskyi obsiegt, ist unklar. Aber klar ist, dass sich Ilari Blasi und Francesco Totti getrennt haben. Und das alleine zählt.